Nicht notdürftig reparieren, Bildung lokal neu denken

Autor*innen

  • Margit Stumpp
  • Martin Bregenzer
  • Edmund Maruhn
  • Lisa Paetz
  • Franziska Baum
  • Benjamin Eugster
  • Gottfried Wolmeringer
  • Susanne Niemann

Moderation

Claudia Jach, Maximilian Voigt

Das Vorhaben in einem Satz

Bevor wir über digitale Bildung und das nächste vermeintlich problemlösende Schulfach nachdenken, müssen wir klären, wie wir in einer Kultur der Digitalität lernen wollen – erst dann können wir Maßnahmen ergreifen.

Ausgangslage und Vision

Ausgangslage der Arbeitsgruppe waren die durch die GRÜNEN eingebrachten Fragen: Digitalisierung in Schulen; wie gelingt dies schnell und mit großer Akzeptanz? Diese wurden mit Expert:innen vertieft und Handlungsempfehlungen herausgearbeitet.

Seit Jahren arbeiten wir gesamtgesellschaftlich an Lösungen für immer neue Probleme, die mit einem inkompatiblen Bildungssystem nicht zu beheben sind. Inklusion, digitale Kompetenzen, Bildungsinfrastruktur und eine Reform der Prüfungskultur sind nur einige Bereiche, mit denen das marode System versucht wird zu flicken. Dabei sollte es umgekehrt laufen: Erst wenn wir beantworten, wie wir in einer Kultur der Digitalität lernen wollen, können wir mit der Gestaltung beginnen. Denn die Digitalisierung ist keine Frage nach geeigneten Tools, sondern einer Veränderung unserer Art zu leben. Doch solchen grundlegenden Fragen kommt kaum Beachtung zu. Stattdessen führen kurzschlussartige Entscheidungen selten zur Lösung der Probleme und wirtschaftlichen Akteur:innen, die den gesellschaftlichen Wert des Gemeinguts Bildung einer unternehmerischen Logik unterordnen, wird das Feld überlassen

Um das zu ändern, sollte Bildung aus lokalen Kontexten heraus neu gedacht werden können. Es braucht gestalterische Freiräume im Kleinen,

  • etwa auf der Ebene der Verwaltung, insbesondere, um Schulen die Möglichkeit zu geben, eigene Wege zu finden;
  • in Bezug auf Begegnungsräume, um der Vernetzung von lokalen Bildungspraktiker:innen einen Ort zu geben;
  • und die Förderung niedrigschwelliger Austauschformate, durch die Expert:innen ihre Netzwerke stärken können. Denn nur vor Ort verbindet sich Bildungsexpertise mit sozialräumlichem Kontextwissen.

Das Vorhaben konkret

Der Bund und die Länder müssen

  • Begegnungsräume fördern, die lokale Bildungsnetzwerke stärken und ihnen einen Ort geben. Das sind Bibliotheken, Gemeindezentren oder Offene Werkstätten, wie Fablabs oder Makerspaces.
  • einen Rahmen ermöglichen, insbesondere für die Neubelegung des Lernbegriffes. Denn dieser Frage muss sich jede Einrichtung selbst stellen. Das kann beispielsweise im Rahmen von Barcamp-Formaten passieren, die statt einmaliger Fortbildungsangebote regelmäßig Akteure zusammenbringen und Wissensaustausch und den lokalen Diskurs fördern.
  • Gesetze und Vorgaben reformieren, die Bildungsgestaltenden Gestaltungsfreiräume nehmen. Dazu gehört der Abbau von unnötigen bürokratischen Hürden. Ein Beispiel ist die Verwaltungsverordnung für Deputatsstunden, die in der Regel an der Realität vorbeigeht.

Beispiel

Die staatliche Alemannenschule Wutöschingen ist ein Beispiel, das der Arbeitsgruppe von Valentin Helling vorgestellt wurde. Kurz vor der Schließung der Schule stellte sich das Kollegium die Frage, ob Lernen nicht auch anders als im Regelschulsystem gelingen kann und baute die Schule grundlegend um. “Keine Klassenlehrer, keine Klassenarbeiten, kein Lehrer- und keine Klassenzimmer. Vieles, was man automatisch mit Schule verbindet, sucht man hier vergeblich.” Stattdessen haben die Lernenden eigene Schreibtische, lernen individuell mit einer eigenständig entwickelten Materialplattform und Lehrende sind Lernbegleiter:innen statt Vortragende. Ermöglicht wurde das durch eine Offenheit auf drei Ebenen: Die Schulleitung war offen für einen Neustart, große Teile des Kollegiums zogen mit und der Träger stand diesem Reformprozess nicht entgegen. Inzwischen ist die Schule ein Erfolgskonzept und der Ort erfährt Zuzug seit dieser Entwicklung.

Potenziale und Hürden

Spätestens die Auswirkungen und Möglichkeiten der Digitalisierung haben akuten Handlungsdruck zur Reformierung von Bildung ausgelöst. Doch diese Reform ist keine Aufgabe, die auf systemischer Ebene alleine gelöst werden kann - Ministerien oder kommunale Träger setzen nur den Rahmen. Die Bildungseinrichtungen müssen Freiräume erhalten, um diesen Reformprozess lokal zu gestalten. Denn das Potenzial liegt darin, grundlegende Herausforderungen selbstbestimmt in den lokalen Bildungskontext zu übertragen und individuell angepasst zu lösen. Starke lokale Netzwerke schaffen dafür geeignete Lern- und Unterstützungsräume.

Für die Umsetzung braucht es ein Umdenken hin zu einem dezentralen und gleichzeitig skalierbaren Ansatz, der einerseits Autonomie auf praktischer Ebene ermöglicht, andererseits Erfolgskonzepte in die Breite bringt und einen klaren Rahmen schafft, der allen Menschen grundlegende Kompetenzen gewährleistet.

Aufruf / Forderung

Der Bund und die Länder müssen Begegnungsräume fördern und Bildungsnetzwerke stärken. Dabei ist ein Fokus auf den kontinuierlichen Wissensaustausch und Diskurs der Bildungsakteur:innen zu legen. Dies kann durch Anreizsetzung und eine Verminderung des bürokratischen Aufwands befördert werden.

Weitere Arbeitsgruppen aus 2021