Autor*innen
- Birke Bull-Bischoff
- Nina Galla
- Anja Lorenz
- Stefan Kretzmann
- Elisabeth Koch
- Denis Schulz
- Björn Lefers
Moderation
Sarah Behrens, Dominik TheisDas Vorhaben in einem Satz
Die Verteilung von Bundesmitteln muss an soziale Verhältnisse geknüpft werden, wenn sie gerecht wirken sollen – dies würde ein Sozialindex ermöglichen, für dessen Realisierung es eine Verbesserung und Zugänglichmachung amtlicher Daten benötigt.
Problembeschreibung und Vision
Ausgangslage der Arbeitsgruppe war das durch die LINKE eingebrachte Konzept eines bundesweiten Sozialindexes. Dieses wurden mit Expert:innen vertieft und Handlungsempfehlungen herausgearbeitet.
Die Fördermittel des Bundes verteilen sich aktuell nach dem Königsteiner Schlüssel auf die einzelnen Länder. Dieser orientiert sich zu zwei Dritteln am Steueraufkommen des jeweiligen Bundeslandes und zu einem Drittel an dessen Bevölkerungszahl – das bedeutet: Wer viel Geld hat, bekommt viel Geld, tatsächliche Bedarfe bleiben unbeachtet. Das muss sich insbesondere für die Mittel der Bildungsförderung ändern, da diese Verteilung nicht nach Grundsätzen des tatsächlichen Bedarfs und der Gerechtigkeit erfolgt. Die Beseitigung von Bildungsungerechtigkeit gehört jedoch zu den wichtigsten Aufgaben der Bildungspolitik. Bundesmittel für Bildung müssen an sozialen Bedarfen ausgerichtet werden. Bei der Verteilung der Gelder auf die Bundesländer und innerhalb der Länder muss auf sozioökonomische Verhältnisse geachtet werden. Ein Sozialindex basierend auf öffentlichen sozioökonomischen Daten kann für gerechte Mittelverteilung sorgen.
Das Vorhaben konkret
Der Sozialindex auf Bundesebene nach Vorbild von Sozialindizes auf Länderebene, wie beispielsweise in Hamburg, Nordrhein-Westfalen oder Hessen, muss noch geschaffen werden und die Arbeitsgruppe möchte hiermit zur Diskussion anregen. Für die Erstellung eines Sozialindexes müssen auf Bundesebene ein Diskurs über die Vergabe von Mitteln eingeleitet und auf Landesebene Strukturen geschaffen werden, die die Verteilung von Mitteln nach sozioökonomischen Kriterien garantieren. Ein elementarer Schritt dafür ist die Verbesserung der öffentlichen Datenlage: Es braucht strukturierte, vergleichbare und zugängliche amtliche Daten. Sie ermöglichen einerseits die Berechnung konkreter Bedarfe und andererseits, durch die öffentliche Bereitstellung der Daten (Open Data), eine demokratische Kontrolle bei Wahrung des Schutzes sensibler personenbezogener Daten. Eine öffentliche Plattform für Schuldaten nach dem Vorbild von schulsanierung.tursics.de oder jedeschule.de könnte diese Daten für alle zugänglich machen.
Konkret besteht Handlungsbedarf in folgenden Punkten:
- Verbesserung der Datenlage, -qualität, sowie der Verfügbarkeit und Zugänglichkeit von Daten
- Einrichtung einer externen wissenschaftlichen Begleitung für die Vergabe von Bildungsmitteln und ihre soziale Verteilung
- Mehrjährige und regelmäßige Analysen von Verhältnissen und ihren Schwankungen, um ein umfassendes Bild zu erhalten
- Transparenz bei Datenquellenauswahl, Indikatorenauswahl, Stufeneinteilung
- Offenheit gegenüber Aktualisierungen/iterativer Anpassung des Indexes
Beispiel
Die Behörde für Schule und Berufsbildung in Hamburg, die seit Jahren mit dem sogenannten “KESS-Index” als Sozialindex arbeitet, stand der Arbeitsgruppe bei der Ideenentwicklung als Gesprächspartnerin zur Verfügung:
Der “KESS-Index” zielt darauf ab, durch gerechte Mittelverteilung Bildungsbenachteiligung auszugleichen und die Ressourcenzuweisung entsprechend den heterogenen Bedarfen der Schulen zu gestalten. Er bezieht Indikatoren wie SGB-II-Anteil und nicht-deutsche Familiensprache mit ein, exkludiert jedoch Leistungsdaten. Die Anwendung hat Auswirkungen auf die Klassenfrequenzen, Sprachförderung, Fachkräfteversorgung, Ganztagsbetreuung und Inklusion.
Potenziale und Hürden
Das Vorhaben würde Bildungsgerechtigkeit fördern/begünstigen, wenn der Index wissenschaftlich begleitet wird und gewährleistet, dass Mittel bedarfsgerecht verteilt werden und bis zu den bedürftigen Stellen durchdringen. Ein Index wäre nachhaltig,
- wenn er auf genügend vergleichbaren, zuverlässigen, qualitativ guten und offenen Daten basiert,
- wenn Beteiligte und Expert:innen in Planung und Evaluation der Kriterien mit einbezogen werden,
- wenn Ressourcenauswahl und Aktualisierungen von vornherein mitgedacht bzw. Paradoxien vermieden werden,
- wenn er flexibel (an Förderzwecke anpassbar) anwendbar ist und
- erkennbare Wirkungen erzielt, die Chancenzuwachs aufgrund von Umverteilung in der Ressourcenausstattung abbilden.
Eine Voraussetzung für die Entwicklung eines nachhaltigen Sozialindex ist eine einheitliche Datenstruktur und ausreichend qualitativ hochwertiger Daten. Die Herausforderung ist, zuverlässige, in Stadt und Land vergleichbare und für alle Schularten verfügbare Daten zur Indexermittlung bereitzustellen. Wenn Länder kooperieren, ihre Daten teilen und beispielsweise einen Baukasten mit Kriterien für die Indexermittlung bereitgestellt bekommen, den die Länder individuell gewichten können, wäre das Vorhaben potentiell länderübergreifend anschlussfähig und ein Sozialindex auf Bundesebene möglich. Die Erhebung muss dem Grundsatz der Datensparsamkeit folgen, so viele Daten wie nötig, so wenige wie möglich zu erheben und zu verarbeiten. Der Datenschutz, die Verfügbarkeit, Vergleichbarkeit und Zugänglichkeit dieser Daten muss gewährleistet werden.
Ein Sozialindex muss sicherstellen, dass gerechte Mittelverteilung nicht paradox wirkt, also gut ausgestattete Schulen unterversorgt werden. Eine Indizierung muss zeitlich so vorgenommen und aktualisiert werden, dass Schulen durch einen Index-Wechsel keine neuen Nachteile entstehen und die Indizierungen keine Stigmatisierungen verursachen.
Unter Umständen ist es sinnvoll, für verschiedene Zwecke verschiedene Indizes zu entwickeln, wenn beispielsweise ein Land weniger Bedarf bei der Digitalisierung, aber hohen Bedarf bei der Gebäudesanierung hat.
Darüber hinaus braucht es eine grundsätzliche Akzeptanz des Solidaritätsprinzips in Gesellschaft und Politik.
Aufruf/Forderung/Empfehlung
Es braucht eine generelle Offenheit des Bundes für eine Entwicklung des Königsteiner Schlüssels zu einem Sozialindex. Es muss gemeinsam mit Ländern, Schulträgern und Schulen ermittelt werden, welche Ressourcen über einen Sozialindex verteilt werden und welche sozioökonomischen Daten für einen gerechten Sozialindex auf Bundesebene an welcher Stelle erhoben werden müssen. Der Bund und die Länder müssen Hürden bei der Verarbeitung von nicht-personenbezogenen Daten abbauen. Eine Koordinierungsstelle und wissenschaftliche Begleitung muss eingesetzt werden, um die gerechte Wirkung des Index zu evaluieren und Datenschutz sowie Datensparsamkeit sicherzustellen. Abschließend ersetzt eine Neuverteilung nach einem Sozialindex nicht den Bedarf, grundsätzlich mehr Mittel für die Bildungsbereiche zur Verfügung zu stellen und die Mangelwirtschaft zu beenden.